Mit dem nicht!
Mit dem kannst du nicht flirten, das haben mir alle gesagt. So gut er auch aussah, Sven Stöcker besaß ein so abweisendes Wesen, dass alle Aufmerksamkeiten und alle Flirtversuche daran scheiterten. Wenn man ihn anlächelte und ihn freundlich begrüßte, murmelte er nur einen mürrischen Gruß, wenn man sich mit ihm unterhalten wollte, gab er nur einsilbige Antworten – und wenn man ihn freundschaftlich berührte, eine Hand auf seinen Arm legte oder so etwas, dann entzog er sich sofort. Er schien für weiblichen Charme völlig unempfänglich zu sein. Und davon gab es einiges in unserer Firma, an weiblichem Charme. Manchmal könnte man fast meinen, der Personalchef habe die weiblichen Mitarbeiter ausschließlich nach Attraktivität ausgesucht. Der alte Personalchef, meine ich jetzt, derjenige, der vor einem Monat in Pension gegangen und durch Stöcker als neuen Personalchef ersetzt worden war.
Wobei ich jetzt aber noch zur Ehrenrettung von uns Frauen in der Firma sagen muss, dass wir alle durchaus gut in dem waren, was wir taten! Selbst Stöcker, der uns alle nacheinander für Personalgespräche kommen ließ – um uns besser kennenzulernen, so hieß es offiziell, aber wir wussten schon alle, was das bedeutete, da stand nämlich unser Job auf dem Spiel! – konnte nichts finden, was es zu bemängeln gegeben hätte. Und dass er nichts zu meckern hatte, lag keineswegs daran, dass wir Weiber ihn nun um den Finger gewickelt hätten. Ich weiß es von vielen und vermute es von allen anderen, dass sie durchaus versucht hatten, mit Stöcker zu flirten. Aber wie gesagt – mit dem konnte man einfach nicht flirten, das war das übereinstimmende Urteil schon nach zwei Wochen. Die hatten sich alle die Zähne an ihm ausgebissen.
Sehr schnell kam auch das Gerücht auf, er sei vielleicht schwul und deshalb so resistent gegen alle Flirt Versuche der weiblichen Belegschaft. Ich schaute mir das alles sehr amüsiert an. Ich hatte nicht versucht, mit Stöcker zu flirten, als er mich zu einem Gespräch einbestellt hatte. Wahrscheinlich war ich die einzige …
Mir aber ging es nicht um einen Flirt, sondern ich wollte etwas ganz anderes erreichen: Ich wollte befördert werden. Meine Beförderung war schon lange fällig, nur hatte der alte Personalchef sie immer wieder hinausgezögert. Auch wenn man als hübsches Girl in unserer Firma immer gute Chancen hatten eingestellt zu werden, sofern auch die Leistungen stimmten – was die Karriere anging, war man da ebenso frauenfeindlich wie überall sonst in der freien Wirtschaft auch. Wir kamen einfach nicht weiter nach oben. Von Stöcker erhoffte ich mir nun eine neue Chance – und gab mir deshalb alle Mühe, als kühl, sachlich, neutral, kompetent und ehrgeizig herüber zu kommen.
Es schien mir gelungen zu sein – drei Wochen nach Stöckers Einstieg bei uns holte er mich erneut in sein Büro und gratulierte mir zur Beförderung. Und was machte ich, ich dumme Kuh? Ich war so glücklich und überrascht, dass ich glatt anfing zu heulen! Ausgerechnet bei diesem Eisklotz an Mann, den ich doch vorher so erfolgreich von meiner Professionalität hatte überzeugen können. Ich schämte mich, aber ich konnte meinen Tränen einfach keinen Einhalt gebieten. Ich wagte Stöcker nicht anzusehen; bestimmt bereute er es jetzt schon, dass er meine Beförderung befürwortet und durchgesetzt hatte und hielt mich für ein zickiges, launisches, wankelmütiges, überempfindliches Weibsstück, dem man eine solche Position wie meine neue auf keinen Fall anvertrauen sollte.
Doch er überraschte mich total. Auf einmal stand er neben mir und hielt mir ein Taschentuch hin. Ich nahm es, wischte mir hastig über die nassen Augen, holte tief Luft und entschuldigte mich. Statt hinter den Schreibtisch zurück zu gehen, lehnte er sich direkt neben meinem Besucherstuhl dagegen. Endlich traute ich mich auch, ihn anzusehen; wofür ich natürlich nach oben blicken musste. Und was sah ich? Nicht das angewiderte Gesicht eines Frauenfeindes in Anbetracht heulender Weiblichkeit, und auch keine Skepsis eines Personalchefs, der gerade erkannt hatte, möglicherweise die falsche Entscheidung getroffen zu haben.
„Ich verstehe Sie sehr gut„, sagte er stattdessen. „Ich habe mir Ihre Personalakte genau angesehen. Sie hätten schon vor zwei Jahren befördert werden müssen. Ich habe den Eindruck, Frauen hatten es bisher in dieser Firma recht schwer, nach oben zu kommen. Aber ich kann Ihnen versichern, das wird sich jetzt ändern.“ Mit tränenumflortem Blick lächelte ich ihn an. Und was geschah? Er lächelte zurück! Bisher hatte ihn in all den drei Wochen noch niemand je lächeln sehen, so sehr sich auch alle Frauen in der Firma darum bemüht hatten, ihn dazu zu bringen; und ich, die einzige, die auf jeden Flirt Versuch verzichtet hatte, ich hatte es nun geschafft.
Ein warmes Gefühl wallte in mir auf, überströmte mich. „Ich bin froh, dass Sie da sind„, sagte ich. Ganz schlicht und einfach. Es war kein neckisches Flirten, es war kein koketter Versuch, ihn anzubaggern; es war einfach eine Feststellung, die ich ganz ruhig und sachlich ausgesprochen hatte. Auch wenn mein verheultes Gesicht meine Ruhe und Sachlichkeit Lügen zu strafen schien. Auf einmal legte er mir die Hand auf die Schulter. „Ich freue mich auch„, sagte er, und seine Stimme zitterte dabei ein wenig. Was war denn das jetzt? Wollte nun ausgerechnet er, der Flirt Resistente, mit mir flirten, oder wie durfte ich das verstehen? Es sah fast so aus, und in den Tagen danach schien sich das auch zu bewahrheiten. Aber davon berichte ich euch ein anderes Mal.